Hinter die Erinnerung schauen

Therapieprotokoll

5. Werte und Überzeugungen

5.1 Werte und Grundwerte

Werte spielen im menschlichen Leben eine große Rolle. Sie bestimmen, was man akzeptiert und was man ablehnt, was für Menschen richtig und falsch, gut oder böse ist. Für ihre Werte sind Menschen bereit, Strapazen auf sich zu nehmen, zu leiden und auch ihr Leben zu opfern. Für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wurde in der französischen Revolution gekämpft. Für Gott und Vaterland zogen Millionen Soldaten in den Krieg. Für ihre religiösen und politischen Werte starben viele in den KZs des Faschismus.

Werte geben dem Leben Sinn und Zweck. Sie bestimmen, was Men­schen tun und lassen. Werte geben dem Einzelnen die Orientierung, die er benötigt, um sich in einer sich ständig verändernden Welt zurechtzu­finden. Sie strukturieren Realität. Sie sind die Prinzipien, nach denen gelebt wird, nach denen wir uns richten und Verhalten bewertet und beurteilt wird. Werte integrieren uns in die Gesellschaft, in der wir leben. Ihre Verinnerlichung ermöglicht ein Handeln, das den gesellschaftlichen Regeln und Formen entspricht und die Zugehörigkeit zum sozialen System dokumentiert. Werte wirken als zentrale Bestandteile der Persön­lichkeit. Sie sind wesentlich an der Entwicklung und der Gestaltung unserer personalen Identität beteiligt.

Vielen Menschen ist nicht bewußt, daß Werte ihr Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Handeln bestimmen. Sie wissen nicht, daß Werte das Verhalten in entscheidendem Maß motivieren. Es wird selten hinter­fragt, weshalb man sich von dem einen distanziert und sich auf das andere orientiert. Werte werden selten überprüft, da sie normalerweise nicht bewußt sind.

5.1.1 Worin unterscheiden sich Werte?

Werte unterscheiden sich allerdings nicht allein im Hinblick auf ihren Bewußtseinsgrad. Sie lassen sich u.a. auch hinsichtlich ihres Generali­sierungsgrades unterscheiden. Sie können mehr oder minder allgemein sein hinsichtlich der Sachverhalte, auf die sie sich beziehen. Werte diffe­rieren ebenfalls im Hinblick auf ihre Stabilität, wobei Stabilität die Beständigkeit des Wertes über eine bestimmte Zeit hinweg meint. Sie können für einen großen Zeitraum oder für eine kleine Zeitspanne gelten. Sie können für Jahre bestehen oder nur für Monate. Werte können lang­lebig, d.h. stabil, oder kurzlebig, instabil sein. Wenn Werte miteinander verknüpft oder voneinander abhängig sind, kann die Stabilität des einen durch die Instabilität des anderen beeinflußt werden.

Werte können sich ebenfalls hinsichtlich ihrer Wichtigkeit unterschei­den. Sie können emotional als unwichtig, belanglos oder auch als sehr wichtig erfahren werden. Die unterschiedliche affektive Gewichtung der Werte läßt Werthierarchien entstehen. Die Werte, denen die höchste emotionale Bedeutung beigemessen wird, bilden die Spitze der Hierar­chie. Die anderen Werte ordnen sich entsprechend ihrer affektiven Gewichtung darunter. Die am höchsten gewichteten Werte werden als Grund- oder Hauptwerte bezeichnet und können nicht einfach aufgege­ben werden. Ihre Aufgabe hätte für uns fatale Folgen. Deshalb ist es unser Bestreben, insbesondere die Erfüllung unserer Grundwerte zu gewährlei­sten. Ihre Bedeutung für uns wird im folgenden beispielhaft an den Grundwerten „Sicherheit“ und „Liebe“ dargestellt:

5.1.2 Der Grundwert „Sicherheit“

Es erscheint so, als wäre unsere Sicherheit gewährleistet, vergleicht man die gesellschaftliche Situation in unserem Land beispielsweise mit der Republik Südafrika. Dort werden mehr Menschen überfallen und beraubt als in jedem anderen Land der Welt. Es ist fünfmal wahrscheinlicher, auf den Straßen von Johannisburg ermordet zu werden als in New York. Die Reaktion der Menschen auf die Bedrohung ihrer Sicherheit ist dement­sprechend deutlich: Überall bilden sich Bürgerwehren, es werden hohe Mauern um Häuser und Villenviertel gezogen, ihre Bewohner bewaffnen sich. Alles Denken, Fühlen und Handeln ist auf die Bewahrung der eige­nen Sicherheit gerichtet. Sich zu schützen ist primäres Handlungsziel. In einer funktionierenden Gesellschaft ist es unnötig, für die eigene Sicher­heit zu sorgen. Nur dort, wo man sich bedroht und gefährdet erlebt, wird Sicherheit als Bedürfnis und Grundwert bewußt. Auch in unserer Gesellschaft spielt Sicherheit eine große Rolle. Das zeigt sich beispiels­weise daran, daß das Thema „Sicherheit“ die Öffentlichkeit immer wieder stark bewegt, und es zeigt sich auch daran, daß bei uns die meisten Versicherungen abgeschlossen werden, um sich vor Wasser- und Sturm­schäden, vor Invalidität, Diebstahl und Einbruch zu schützen.

Wie sehr das Streben nach Sicherheit das Leben jedes einzelnen durchdringt und bestimmt, ist deutlich am Verhalten von Kindern fest­stellbar. Während Erwachsene es gelernt haben, auch bei Gefährdung der Sicherheit das eigene Verhalten zu kontrollieren, zeigen Kinder deutliche Reaktionen, wenn sie sich bedroht fühlen.

Beim Kleinkind löst z.B. die geringste Änderung des Tagesablaufs, z.B. eine verspätete Mahlzeit, starke Emotionen aus. Ungewöhnliche oder ungewohnte Ereignisse, wie z.B. das Auftauchen eines unbekannten Erwachsenen, rufen ebenfalls Weinen und Angstreaktionen hervor. Ein nur kurz von der Bezugsperson, z.B. der Mutter, in nicht vertrauter Umgebung allein zurückgelassenes Kind wird unsicher und fängt eben­falls an zu weinen. Jede überraschende Änderung der Lebensbezüge, ein Streit der Eltern, eine Beschimpfung oder physische Bestrafung wirken verunsichemd. Die Angst vor dem Verlust der Lebenssphäre bringt selbst von ihren Eltern vollständig abgelehnte Kinder dazu, sich an sie zu klam­mem, mehr um Sicherheit und Schutz zu bekommen, als aus Sehnsucht nach Liebe. Dramatische Lebensveränderungen wie Scheidung der Eltern, der Verlust eines Elternteils durch Tod, belasten ein Kind sehr. Es leidet unter dem Verlust eines intakten Elternhauses, der schützenden Gegenwart beider Eltern und der Zerstörung seiner Lebenskontinuität. Die Folge ist häufig, daß Kinder sich verstärkt an den verbleibenden Elternteil klammem, um außer Liebe und Tröstung das Gefühl emotiona­ler Sicherheit zu erfahren.

Unter zerstörten oder zerrütteten Lebensbezügen leiden allerdings nicht nur Kinder, auch Erwachsene sehnen sich nach sicheren, friedli­chen, überschaubaren Lebensverhältnissen.

Wie überwältigend das Bedürfnis nach Sicherheit auch das Leben eines Erwachsenen durchdringen kann, ist deutlich am Verhalten eines Zwangsneurotikers festzustellen. Das Hauptmerkmal dieser Störung besteht darin, wiederholt in bestimmten Gedanken- oder Handlungs­vollzügen kreisen zu müssen. Um sich vor einer als gefährlich erlebten Welt zu schützen, leben Zwangsneurotiker in Formen und Ritualen. Um vor dem Unerwarteten, Überraschenden und Unangenehmen geschützt zu sein, arrangieren sie die Realität so, daß sie überschaubar, ordentlich und verläßlich ist. In ihren gedanklichen und Handlungsroutinen zeigen sie nicht nur ihre Angst vor einer bedrohlichen, lebensgefährdenden Welt, sie zeigen darin ebenfalls ihr großes Bedürfnis und Streben nach Sicherheit und Geborgenheit.

5.1.3 Der Grundwert „Liebe“

Das Gefühl der Liebe gehört zu den intensivsten Emotionen, die wir ken­nen. Es erfaßt uns ganz und gar. Liebe ist die Emotion, die Bindungen zwischen Menschen realisiert, die Nähe und Vertrautheit schafft. Sie weckt in uns den Wunsch nach Gemeinsamkeit, das Bedürfnis nach Nähe und Austausch mit der geliebten Person. Sie läßt uns für die gelieb­ten Menschen alles tun, Liebe geben und empfangen zu können wird zum stärksten Handiungsmotiv. Eine mögliche Trennung von der gelieb­ten Person wird als bedrohlich und ängstigend erlebt. Das plötzliche Ende einer Liebe erleben zu müssen oder ihre andauernde Zurück­weisung zu erfahren, wird als Qual erlebt. Insbesondere Kinder belastet Liebesentzug sehr. Wird ihnen das Gefühl der Wärme und Zuwendung dauerhaft vorenthalten und ihr Bedürfnis nach emotionaler Nähe und Liebe nachhaltig mißachtet, verkümmern sie emotional.

Die endgültige Trennung von Freunden, das Herausgerissenwerden aus liebevollen familiären Beziehungen, der Verlust einer geliebten Person oder emotionale Vernachlässigung bewirken auch bei Erwachsenen tiefe seelische Verletzungen. Fast allen neurotischen Störungen liegt ein Defizit an Liebe, Nähe und Vertrautheit zugrunde. Der Mangel an Zuwendung, an menschlicher Gesellschaft, soziale Isolation und zurückgewiesene Liebe läßt Menschen erkranken. Das „einsame, gebrochene Herz“ gibt es tatsächlich. Die hohe Suizidrate bei Jugendlichen und das anonyme Sterben älterer Menschen weisen darauf hin, daß insbesondere diese Lebensphasen von Gefühlen der Einsamkeit und des Verlassenseins statt von Liebe und Zuwendung durchdrungen sind. Die moderne Gesell­schaft verweigert das, was zu erleben wichtig ist, nämlich vertraute zwi­schenmenschliche Beziehungen, das Gefühl emotionaler Nähe und Zu­sammengehörigkeit. Die Frustration dieser Bedürfnisse macht Menschen aggressiv und rücksichtslos, depressiv und ängstlich. Wir erleben im sozialen Kontakt Vereinzelung und Einsamkeit statt emotionaler Befrie­digung.

5.1.4 Die Ermittlung von Werten und Werthierarchien

Die Darstellung der Grundwerte „Sicherheit“ und „Liebe“ zeigt: Um ein zufriedenes Leben, d.h. ein Leben in psychischer Gesundheit, führen zu können, muß das, was uns wichtig ist, vorhanden sein oder Wirklichkeit werden können. Vielen Menschen ist allerdings nicht bewußt, was ihnen fehlt, um zufrieden und psychisch gesund zu sein. Jemand ißt, weil er denkt, er sei hungrig, tatsächlich hungert er nach Geborgenheit und Liebe. Jemand zündet sich eine Zigarette an, weil er meint, sie würde gut schmecken, und tatsächlich sehnt er sich nach Sicherheit und Sou­veränität. Um ihn aus seinem Dilemma befreien zu können, ist es erfor­derlich, die Werte aufzudecken, denen er folgt bzw nach deren Erfüllung er unbewußt strebt.

Es gibt mehrere Möglichkeiten, um Werte und Werthierarchien aufzu­decken. Es werden Listen vorgegeben, auf denen sich eine Anzahl von Werten befindet, die nach ihrer Wichtigkeit zu ordnen sind. Eine weitere Möglichkeit der Wertermittlung besteht darin, die betreffende Person zu bitten, die persönlich bedeutsamen Werte zu ermitteln, indem sie für sich allein oder mit Unterstützung eines anderen die Frage nach dem, was ihr wichtig ist, beantwortet. Die ermittelten Werte können dann entspre­chend ihrer Wertigkeit in eine Rangordnung gebracht werden. Das indivi­duelle Wertsystem kann auch über die Untersuchung eines Handlungs­kontextes ermittelt werden. Den erwähnten Vorgehensweisen liegt die Annahme zugrunde, daß Menschen die Werte kennen, denen sie folgen, und daß sie in der Lage sind, diese Werte zu identifizieren, und auch deren hierarchisches Verhältnis bewußt bestimmen können. Trotzdem fällt es manchem jedoch nicht so leicht, das persönliche Wertsystem anzugeben. Das mag darin begründet sein, daß Werte und Werthierar­chien bewußtseinsfähig, jedoch nicht bewußtseinspflichtig sind. Im spä­ter nachfolgenden Therapieprotokoll wird ein Verfahren vorgestellt, das gut geeignet ist, um Werte und Werthierarchien therapeutisch zu nutzen.

Hierzu wird auf eine Technik zurückgegriffen, die bereits im zweiten Kapitel dargestellt wurde.

5.2 Überzeugungen/Glaubenssätze

Die psychologische Arbeit bezieht sich hauptsächlich auf fünf Ebenen: Auf die Umgebung des Klienten, auf sein Verhalten, seine Fähigkeiten, seine Überzeugungen und Identität. Zur adäquaten Problembewältigung gehört es daher, folgende Fragen zu beantworten:

  1. Produzieren die Lebensumstände das Problem?
  2. Ist das praktizierte Verhalten realitätsangemessen?
  3. Sind Defizite auf der Ebene der Fähigkeiten vorhanden?
  4. Kreieren einschränkende oder im Konflikt befindliche Überzeugun­gen (Synonym für Glaubenssätze) die Problemsituation?
  5. Liegt eine Störung auf der Identitätsebene vor?

Ein Problem scheint häufig vor allem durch die Umgebung, durch devi­antes, abweichendes Verhalten und durch Fähigkeitsdefizite verursacht zu sein. Tatsächlich sind Lebensumfeld, Verhalten und Fähigkeiten des Klienten allerdings oft durch einschränkende oder im Konflikt befindliche Glaubenssätze organisiert. Die Wirkung von Glaubenssätzen bzw. Über zeugungen ist verschiedentlich festgestellt worden.

Bei der Untersuchung von Diätprogrammen zur Gewichtsreduktion ergab sich, daß alle Diäten bei einigen Teilnehmern zum Erfolg führten, obwohl sich die Programme zum Teil erheblich voneinander unterschie­den. Die Befragung derer, die trotz unterschiedlicher Diätprogramme ihr Gewicht reduzieren konnten, erbrachte folgende Gemeinsamkeiten: 1. war die Entscheidung für die Diät von einer anderen wichtigen Lebens­veränderung begleitet, und 2. waren alle Personen fest entschlossen und bereit, sich zu verändern.

In einem anderen Fall wurden Patienten befragt, die vor 10-12 Jahren von einer als unheilbar diagnostizierten Krebserkrankung gesundet waren. Sie hatten sich unterschiedlichsten Behandlungsmethoden unter­zogen, doch war allen gemeinsam, daß sie glaubten, daß das, was sie getan hatten, für sie genau das Richtige gewesen war, um gesund zu werden.

Auf die Wirksamkeit von Überzeugungen weisen auch Untersuchun­gen zum Placebo-Effekt hin. Bietet man einer Person ein „inaktives“ Medikament, d.h. eines ohne jeglichen Wirkstoff, an und reagiert sie dann darauf entsprechend der gegebenen Instruktion, dann liegt ein Placebo-Effekt vor. Eine Überprüfung amerikanischer Literatur zum Placebo-Effekt ergab, daß etwa in einem Drittel aller Fälle ein Placebo ebenso gut wirkt wie ein „echtes“ Medikament. Ein Placebo wirkt in der Schmerztherapie sogar bei 51% bis 70% aller Patienten ebenso gut wie Morphium. Placebos wirken auch bei der Krebstherapie. In einer Studie unterzogen sich die beteiligten Versuchspersonen einer „Placebo-Chemo­therapie“, und ein Drittel von ihnen verlor das gesamte Haar. In einer anderen Untersuchung wurde festgestellt, daß Personen, die positiv auf Placebos reagiert hatten, zu 95% auch auf Morphium ansprachen, während Morphium nur bei 46% derer wirkte, die nicht auf Placebos rea­giert hatten. Die Ergebnisse der Untersuchungen zeigen, daß es außer­ordentlich nützlich ist, wenn man von der Effizienz eines „echten“ Medi­kaments überzeugt ist. Das Sprichwort „Glaube versetzt Berge“ macht Sinn.

5.2.1 Arten von Glaubenssätzen

Glaubenssätze sind von unterschiedlicher Struktur: Es gibt Überzeugun­gen, die eine Verallgemeinerung über kausale Beziehungen sind. Wir haben Überzeugungen darüber, wodurch etwas verursacht wird, was z.B. jemanden erfolgreich oder auch erfolglos macht. Es gibt Überzeugungen, die sich auf die Bedeutung von Sachverhalten beziehen: Was bedeutet es, wenn jemand häufig krank ist? Ist er ein schwacher Mensch oder hat er keine Lust zu arbeiten? Schließlich gibt es Überzeugungen, die eine Verallgemeinerung über Grenzen sein können. Jemand glaubt, daß er sein Leben nur bis zu einem bestimmten Grad verändern kann und darüber hinaus nicht. Das, was wir über die Ursache und Bedeutung eines Geschehens und dessen Grenzen glauben, beeinflußt uns. Glaubenssätze steuern unser Handeln. Dabei können sie sich auf unterschiedliche Aspekte des Handelns beziehen: auf das Handlungsziel und den Handlungsprozeß. Glaubenssätze, die sich auf die Handlungsziele bezie­hen, werden als „Zielerwartungen“ (outcome expectancy) bezeichnet. Wir erwarten, daß wir unsere Ziele erreichen, wir glauben, daß es uns möglich ist, sie zu erreichen. In bezug auf die Gesundheit bedeutet das, wenn jemand beispielsweise sehr schwer erkrankt ist, dann gibt es keine momentane Gewähr für seine Gesundung. Das einzige, was er tun kann, ist zu glauben, daß er wieder gesund werden kann. Ist er dazu nicht in der Lage, breiten sich gewöhnlich Gefühle der Hoffnungslosigkeit aus. Die Selbstwirksamkeitserwartung (self-efficacy-expectancy) bezeichnet die Überzeugungen, die sich auf den Handlungsprozeß beziehen. Es wird erwartet, daß alle erforderlichen Mittel und Fähigkeiten vorhanden sind, um das gesteckte Ziel — in diesem Fall die Gesundung — zu erreichen. Davon überzeugt zu sein, daß es anderen möglich ist zu gesunden, genügt nicht. Die betroffene Person selbst muß glauben, daß sie über alle Ressourcen verfügt oder sich die organisieren kann, die nötig sind, um ihre Gesundheit zurückzugewinnen. Gelingt es der betroffenen Person nicht, an die eigenen Handlungspotenzen zu glauben, treten Gefühle der Hilflosigkeit auf.

Mit den Gefühlen der Hilf- und Hoffnungslosigkeit ist häufig auch das Gefühl der eigenen Wertlosigkeit verbunden. Diesem Gefühl liegt die Überzeugung zugrunde, einer Sache nicht wert zu sein, etwas nicht ver­dient zu haben, z.B. es nicht verdient zu haben, wieder gesund zu werden und zu bleiben.

Die erwähnten Gefühle tauchen häufig dann auf, wenn der Gesun­dungsprozeß seine kritische Phase durchläuft, wenn die eigene positive Überzeugung sich im äußersten Gegensatz zum Erleben des Patienten befindet. Resigniert er in dieser Phase, bricht die positive Überzeugung zusammen, und er erlebt sich als hilflos, hoffnungslos und wertlos. Gelingt es, den Gesundungsprozeß mittels geeigneter Ressourcen (z.B. mentaler Strategien wie Visualisierung) zu optimieren, kann sich die posi­tive Überzeugung, d.h. die Selbstwirksamkeitserwartung, stabilisieren und den Gesundungsprozeß auch weiterhin als zielgerichtetes Handeln organisieren. In dieser Phase ist es besonders wichtig, daß die Umgebung des Patienten ihn in dem Glauben an die ihm mögliche Gesundung unter­stützt, anstatt ihn darin zu schwächen. Die Rolle der den Patienten umge­benden Menschen für den Aufbau und die Stabilisierung seiner gesund­heitsfördemden Überzeugungen ist nicht zu unterschätzen.

5.2.2 Zentrale Glaubenssätze

Den belastenden Problemen eines Klienten liegt häufig ein Komplex von Grundüberzeugungen oder ein zentraler Glaubenssatz zugrunde. Diese Glaubenssätze beziehen sich auf die Identität des Klienten und sind allen anderen übergeordnet. Wenn jemand beispielsweise glaubt, daß er alle Fähigkeiten hat, um gesund zu werden, wird die Überzeugung „Ich bin ein Versager“ dazu führen, daß der Glaubenssatz, der sich auf seine Fä­higkeiten bezieht, wirkungslos bleibt, da die Überzeugung, ein Versager zu sein, dem anderen übergeordnet ist, da sie auf der Identitätsebene liegt.

Zentrale Glaubenssätze sind das Ergebnis von Prägungen, d.h. von identitätsformenden Erfahrungen. Da diese Überzeugungen sich zu un­terschiedlichen Zeitpunkten unseres Lebens entwickeln, sind bestimmte Prägungen mit bestimmten Themen verbunden. In den Prägephasen wer­den Überzeugungen ausgebildet, die sich u.a. auf das biologische Überle­ben, den Charakter emotionaler Bindungen, auf unsere intellektuelle Kompetenz und soziale Rolle beziehen und die damit die Persönlichkeit eines Menschen bestimmen. Prägungen können als „positive Erfahrungen“ auch nützliche Überzeugungen hervorbringen. Sie müssen keinesfalls traumatischen Charakter haben und einschränkende Glaubenssätze produzieren. Allerdings entziehen sich gerade diese auf unterschiedliche Weise unserem Zugriff. Auf Überzeugungen, die uns am stärksten beeinflussen, haben wir gewöhnlich den geringsten Einfluß, da sie üblicherweise nicht bewußt sind.

5.2.3 Die Identifizierung von Glaubenssätzen

Glaubenssätze verbergen sich oft wie hinter einer Nebelwand, insbeson­dere die, die für den Klienten mit sehr unangenehmen Gefühlen verbun­den sind. Die Nebelwand signalisiert, daß der Klient sich so weit von dem Erlebten dissoziiert hat, daß er über diese bedeutsame Lebenserfahrung nicht verfügen kann. Die Nebelwand weist den Therapeuten darauf hin, daß die therapeutische Arbeit ihn nahe an entscheidende Glaubenssätze herangeführt hat. Die Nebelwand kann sich auf unterschiedliche Weise zeigen: 1. Der Klient lenkt das Gespräch unerwartet auf ein belangloses Thema. 2. Er hat plötzlich das Gefühl, „leer und ganz vage und verwirrt“ zu sein und innerlich sich zu verschließen. 3. Der Klient erlebt plötzlich aus dem Nichts heraus ein Gefühl, das ihn daran hindert, die therapeuti­sche Arbeit fortzusetzen. Eine Möglichkeit, mit solchen Situationen fertig zu werden, besteht darin, die Aufmerksamkeit des Klienten auf den Nebel zu konzentrieren und ihn, geschützt durch eine angemessene Ressource — z.B. Mut —‚ durch die Nebelwand zurück zu dem Geschehen zu führen, das überzeugungsbildend war. Man kann auch das Gefühl der Leere und den dissoziierten Zustand nutzen, damit den Klienten von der Gegenwart in die Vergangenheit zu leiten, um ihm die Aufdeckung der Lebens­erfahrungen zu ermöglichen, die die einschränkenden Überzeugungen kreierten.

Die Identifizierung von Glaubenssätzen wird auch dadurch erschwert, daß der Klient seinen Verhaltensweisen oft eine Begründung gibt, die — im besten Fall — nur eingeschränkt gilt. Sein bewußtes oder unbewußtes Vorgehen dient dazu, ihn vor Unangenehmem zu schützen. Folgt der Therapeut den gegebenen Erklärungen, gerät er leicht auf eine falsche Fährte. Nur die Beachtung nonverbaler Hinweise, wie z.B. der Physio­logie usw., führt zur Aufdeckung verborgener, d.h. nicht bewußter Lebenserfahrungen und Glaubenssätze. Deren Aufdeckung kann eben­falls dadurch behindert werden, daß der Therapeut aufgrund eigener Hypothesen den Klienten zu unzutreffenden Äußerungen bewegt, anstatt die nonverbalen Hinweise seines Gegenübers zu beachten und auf sie einzugehen. Eine erfolgreiche therapeutische Arbeit erfordert allerdings oftmals mehr, als nur einen einschränkenden Glaubenssatz zu erfassen und zu ändern. Es geht darum, den Klienten dazu anzuleiten, seine Über­zeugungen, Fähigkeiten und Handlungen vollständig in Übereinstim­mung zu bringen und ihm damit zu eiiiiöglichen, sein gewünschtes Ziel zu erreichen.

Es gibt unterschiedliche Methoden, um Glaubenssätze zu ermitteln und zu verändern. Im nachfolgenden Therapieprotokoll werden ein­schränkende Glaubenssätze mit Methoden aufgedeckt und verändert, die bereits dargestellt wurden.

5.3 Therapieprotokoll

KLIENTIN: Ich habe seit einigen Jahren Morbus Crohn. Einmal wurde ich bereits operiert und habe Angst, daß mir das wieder passieren kann. Man hat mir gesagt, daß, auch wenn die Wahrscheinlichkeit dafür nicht groß ist, die Erkrankung jederzeit wiederkommen kann. Ich bin zwar in ärztli­cher Behandlung, aber es beunruhigt mich trotzdem sehr. Ich befürchte, nicht mehr gesund zu werden. Ich zweifle daran, daß ich gesund werde.

ECKARD: Und dafür ist es gut zu wissen, was Du brauchst, oder?

KLIENTIN: Ja, natürlich.

ECKARD: Deshalb möchte ich Dir eine Frage stellen: Was Wichtiges vermißt Du in Deinem Leben, wonach sehnst Du Dich?

KLIENTIN: (Pause. Die Klientin blickt kurz nach links und blickt dann kurz nach rechts.) Gesundheit vermisse ich.

ECKARD: Du hast einmal nach links geblickt und danach einmal nach rechts, was hast Du Dir bei dem einen und bei dem anderen Mal vorge­stellt?

KLIENTIN: Einen Augenblick bitte, ich muß das überprüfen. (Pause) Als ich nach links blickte, sah ich dort den Baum, der da draußen steht.

ECKARD: Was symbolisiert dieser Baum für Dich?

KLIENTIN: Der Baum symbolisiert für mich den Lebensbaum.

ECKARD: Und was hast Du wahrgenommen, als Du nach rechts gucktest?

KLIENTIN: Da hab ich mich als kleines Mädchen, als Kind auf einer Wiese herumhüpfen sehen. Und außerdem ist mir gerade eingefallen, daß ich, als ich 20 Jahre alt war, häufig das Bedürfnis gehabt habe, auf der Straße zu tanzen, weil es mir so gut ging. Das symbolisiert für mich Gesundheit.

ECKARD: Schau Dir die Situation rechts von Dir bitte noch einmal auf­merksam an und dann heb bitte den Blick ein kleines Stück über die Szene. Was nimmst Du dann wahr?

KLIENTIN: (Pause) Darüber nehme ich eine Höhle wahr. Es ist eine Höhle, in der man sich verkriechen kann.

ECKARD: Und was symbolisiert sie für Dich?

KLIENTIN: Geborgenheit.

ECKARD: Und jetzt schau Dir bitte das Bild der Höhle noch einmal auf­merksam an, und dann heb bitte den Blick ein kleines Stückchen über die Szene und warte ab, was Dir in den Sinn kommt.

KLIENTIN: Da nehme ich eine Klippe wahr.

ECKARD: Und was symbolisiert diese Klippe für Dich?

KLIENTIN: Das ist für mich der Widerstand, der mich daran hindert, fröh­lich und ausgelassen zu sein.

ECKARD: Bitte schau Dir die Klippe noch einmal an, und dann heb den Blick wieder ein Stück über die Szene und warte ab, was Dir bewußt wird.

KLIENTIN: Da sehe ich eine Riesenschlange.

ECKARD: Und wofür ist die ein Sinnbild?

KLIENTIN: Wenn die Riesenschlange sich um einen legt, dann wird man erdrückt, man bekommt keine Luft mehr.

ECKARD: Wenn in dem Symbol das Wichtige enthalten ist, was Du vermißt und wonach Du Dich sehnst, was ist es dann?

KLIENTIN: (Pause) Ich vermisse es, frei zu sein.

ECKARD: Und jetzt guck Dir bitte diese Riesenschlange noch einmal an, und heb wieder den Blick ein Stück über die wahrgenommene Szene und erwarte aufmerksam, was Dir als nächstes in den Sinn kommt.

KLIENTIN: Da sehe ich meinen Vater als Riesenschlange. Das ist ja entsetz­lich. (Pause) Ich kann kaum atmen. (Die Klientin reckt und streckt sich.) Das stimmt, das war früher wirklich entsetzlich mit ihm. Er hat mich mei­stens reglementiert. Und als ich einmal mit einem Freund zum Tanzen gehen wollte, da hat er uns verfolgt. Er war schrecklich eifersüchtig. Die meisten meiner Freunde hat er vertrieben. Er hatte Angst, daß ich jemand anderen lieben könnte als ihn. Deshalb hat er immer wieder etwas gegen meine Freunde unternommen, und er hatte auch etwas dagegen, daß ich abends weggehen wollte. Er hat immer wieder versucht, mich davon abzu­halten, mich mit anderen zu treffen. (Pause) Jetzt erinnere ich mich auch daran, in der Zeit ging es mir überhaupt nicht gut. Ich hatte oft Atembe­Hemmungen. Nachdem ich von zu Hause weggezogen bin, verschwan­den die Atembeklemmungen. Was bin ich froh, daß die Zeit vorbei ist.

ECKARD: Und was symbolisiert der Vater als Riesenschlange?

KLIENTIN: (Pause) Das ist ein Symbol für die Eigenständigkeit und die Selbständigkeit, die ich vermisse.

ECKARD: Gib bitte den Situationen, die Dir gerade eingefallen sind und die Du als so belastend erlebt hast, Codenamen. Wir kommen nachher auf diese Szenen und Erinnerungen zurück.

Und jetzt bitte ich Dich, schau Dir die Situation mit Deinem Vater noch einmal aufmerksam an, und dann heb wieder den Blick ein kleines Stück über die wahrgenommene Szene und warte auf das, was Dir dann einfallen wird.

KLIENTIN: Rechts über mir befindet sich ein Dunkelblau, alles ist dunkel­blau.

ECKARD: Und was symbolisiert dieses Dunkelblau für Dich?

KLIENTIN: Blau ist für mich die Farbe der Harmonie. Ich vermisse Harmonie, und zwar in mir.

ECKARD: Angenommen, Du hättest die Harmonie in Dir erreicht, wie würde sich das für Dich auswirken, und zwar in bezug auf das, was wir herausgefunden haben?

KLIENTIN: Wenn ich die Harmonie in mir habe, dann wäre ich auch eigen­ständig, dann bin ich frei, dann könnte ich fröhlich sein und ausgelassen, dann würde ich in mir Geborgenheit fühlen und (Pause) ich glaub sogar, dann bin ich gesund.

ECKARD: Kannst Du jetzt bitte nach links hinüberschauen und Dir noch einmal den Baum angucken, der für Dich den Lebensbaum symbolisiert. Kannst Du mir bitte einmal sagen, was symbolisiert der Lebensbaum für Dich?

KLIENTIN: Der Lebensbaum dort, der symbolisiert für mich gesundes Leben.

ECKARD: Schau Dir bitte den Lebensbaum noch einmal an, und dann heb den Blick ein kleines Stückchen darüber und achte darauf, was Dir dann in den Sinn kommt.

KLIENTIN: Dann fällt mir eine Trauerweide ein.

ECKARD: Und was versinnbildlicht die Trauerweide Wichtiges für Dich?

KLIENTIN: Die Trauerweide symbolisiert für mich Trauer. Und was mir fehlt, das ist Freude. Ich habe wenig Freude in meinem Leben.

ECKARD: Dann schau Dir bitte jetzt noch einmal das Bild der Trauerweide an, und heb dann den Blick ein Stückchen darüber und achte wieder auf das, was Dir einfällt.

KLIENTIN: Es taucht eine Barriere auf. Sie symbolisiert „Schutz“. Ich fühle mich häufig schutzlos.

ECKARD: Und wenn Du den Blick über die Barriere hebst, was kannst Du dann wahrnehmen?

KLIENTIN: Da fällt mir etwas ganz Komisches ein, und zwar nehme ich einen Sessel wahr, einen alten Sessel.

ECKARD: Und was symbolisiert der für Dich?

KLIENTIN: Der Sessel symbolisiert für mich Ruhe und Entspannung, und Ruhe und Entspannung fehlen mir wirklich fast immer.

ECKARD: Schau Dir bitte jetzt das Bild des Sessels noch einmal an, und dann heb bitte wieder den Blick ein Stück über die Szene und warte auf das, was auftauchen wird.

KLIENTIN: Da taucht eine Eisfläche auf, eine weite, große Eisfläche mit Eisbergen und Schnee. Alles ist verschneit und eisig. Das ist eine wirklich unangenehme Vorstellung. (Pause) Mir wird kalt.

ECKARD: Und was symbolisiert diese Vorstellung für Dich?

KLIENTIN: Das symbolisiert für mich Gefühlskälte, Leere und Einsamkeit. Was mir fehlt, was mir wirklich fehlt, das ist Wärme, eine innere Wärme. Mit Wärme verbinde ich Lebendigkeit. Ich hab das Gefühl, daß mir Lebendigkeit in meinem Leben fehlt. Ich erlebe meine Tage als öde, leer und belanglos.

ECKARD: Schau Dir bitte noch einmal die Eislandschaft an, und dann heb den Blick wieder über die Szene. Was fällt Dir dann ein?

KLIENTIN: Links, senkrecht über mir, taucht eine warme gelbe Farbe auf. Und die symbolisiert für mich Lebensenergie. Ich erlebe mich häufig als schwach oder geschwächt, als energielos. Lebensenergie vermisse ich — glaube ich — schon mein Leben lang.

ECKARD: Wie wäre es, wenn Du Deine Lebensenergie spüren könntest? Wärst Du dann lebendig, hättest Du dann die Ruhe und Entspannung, die Stärke, die Freude usw?

KLIENTIN: Ja, wenn ich die Lebensenergie spüren würde, dann wäre ich auch lebendig. Ich könnte mich entspannen und zugleich auch meine Stärke spüren und ich hätte Freude an meinem Leben, denn mein Leben ist im Grunde ganz interessant. Und meiner Gesundheit würde es auch guttun.

ECKARD: Kannst Du rechts über Dir das dunkle Blau und zugleich links über Dir die warme gelbe Farbe wahrnehmen?

KLIENTIN: (Pause) Ja.

ECKARD: Schau Dir die Farben bitte aufmerksam an, und dann schau bitte durch sie hindurch. Was kannst Du dahinter erahnen oder auch deutlich wahrnehmen?

KLIENTIN: (Pause) Dahinter befindet sich ein sternenübersäter Himmel. Und ich kann auch mich sehen. Ich lächle. Ich kann deutlich mein lächelndes Gesicht sehen.

ECKARD: Und was symbolisiert diese Szene für Dich?

KLIENTIN: Das symbolisiert für mich, mit sich selbst und der Welt im Einklang zu sein. Ja, mit mir und der Welt im Einklang zu sein, das ver misse ich sehr. Das vermisse ich schon mein Leben lang.

ECKARD: Du hast vorhin gesagt, Du befürchtest, daß Du wieder krank werden könntest. Was genau befürchtest Du?

KLIENTIN: Ich habe Angst davor, daß alles wieder von vom losgehen könn­te, was ich erlebt habe. Die Darmbeschwerden, die Krämpfe und Schmerzen, und daß ich wieder operiert werden muß und daß dann alles ganz schlimm wird.

ECKARD: Ich habe eine Bitte: Stell Dir vor, Du sitzt hier mit mir im Projektionsraum eines Kinos und guckst von hier oben herunter auf die Kinoleinwand, über die Du gleich einen Film laufen läßt mit dem Titel „Die schlimme Befürchtung“. Ist das für Dich in Ordnung?

KLIENTIN: Ja.

ECKARD: Dann starte bitte jetzt den Film und laß ihn so langsam oder so schnell ablaufen, wie es Dir angemessen ist. Du kannst ihn zwischendrin auch stoppen, wenn Du möchtest.

KLIENTIN: (Nickt, längere Pause) Das ist kein angenehmer Film. Die Distanz hat mir gutgetan.

ECKARD: Und jetzt heb bitte den Kopf und nimm senkrecht über Dir den sternenübersäten Himmel und Dein lächelndes Gesicht wahr, und dann symbolisiere bitte alles Positive, was in dieser Szene enthalten ist, all die positiven Lebenseinstellungen und Überzeugungen, die positiven Fähig­keiten und Gefühle in einer Farbe oder einem Farbspiel, in einem Ton oder in einer Melodie oder einer Bewegung, einer Geste.

KLIENTIN: (Pause) Das ist ein gold-glänzendes dunkles Blau, ein helles Lachen und das Öffnen meiner Hände.

ECKARD: Laß bitte dieses gold-glänzende dunkle Blau jetzt mit dem Lachen in das Geschehen einfließen, das Du unten auf der Leinwand wahrnehmen kannst, und öffene Deine Hände dabei. Was geschieht dann? Laß Dir bitte die Zeit, die Du brauchst, um das festzustellen.

KLIENTIN: (Pause) Es ändert sich alles.

ECKARD: Positiv?

KLIENTIN: Ja.

ECKARD: Woran kannst Du das feststellen?

KLIENTIN: Die Befürchtungen haben aufgehört. Statt sich krank zu fühlen und über Beschwerden zu klagen und Angst vor einer Operation zu haben, geht es mir gut. Ich sehe mich da fröhlich herumlaufen.

ECKARD: Bitte versetze Dich für einen Augenblick in diejenige, die da fröh­lich herumläuft. Überprüfe bitte, so gut es geht, das, was sie fühlt, was sie denkt und von sich glaubt.

KLIENTIN: (Pause) Es geht mir gut, ich denke, daß alles in Ordnung ist, und ich bin davon auch überzeugt.

ECKARD: Angenommen, Du hast aufgehört, irgend etwas zu befürchten, von was bist du dann statt dessen überzeugt?

KLIENTIN: Davon, daß ich gesund bin und es auch bleibe.

ECKARD: In welchen Situationen brauchst Du die Überzeugung, gesund zu sein und auch gesund zu bleiben besonders? Mit anderen Worten: Wann würdest Du diese positive Überzeugung besonders veizuissen?

KLIENTIN: Wenn ich zum Beispiel auf einer Geburtstagsfeier bin und da etwas essen und trinken würde, was ich zur Zeit nicht vertrage, dann wäre es für mich wichtig, von der Gesundheit grundsätzlich überzeugt zu sein.

ECKARD: Und wann noch?

KLIENTIN: Ganz wichtig ist es auch, wenn ich krank bin, wenn ich zum Beispiel eine Darmgrippe habe oder krampfartige Bauchschmerzen, was ja auch mal passieren kann, wenn man was „Falsches“ ißt oder zu spät gegessen hat usw. Dann habe ich immer Angst, daß alles wieder von vorne anfängt.

ECKARD: Und wann wäre es für Dich andererseits absolut nötig, zu befürchten, wieder krank zu werden?

KLIENTIN: Gar nicht.

ECKARD: Gar nicht? Glaubst Du wirklich, daß jemand über längere Zeit seine Gesundheit folgenlos angreifen kann, indem er oder sie sich zum Beispiel schlecht ernährt oder auf andere Weise quält?

KLIENTIN: Nein. Wenn ich beispielsweise mich über längere Zeit „falsch“ ernähren würde, dann ist es wohl schon notwendig, daß ich den Verlust meiner Gesundheit befürchte, um auf mich aufzupassen.

ECKARD: Stell Dir bitte vor, Du bist bei Freunden auf einer Geburtstagsfeier, es wird gegessen und getrunken und alle sind guter Stimmung. In welchem Augenblick genau ist es für Dich besonders wich­tig, daß Du davon überzeugt bist, gesund zu sein und es auch zu bleiben?

KLIENTIN: In dem Moment, in dem ich etwas genieße, was ich zum Beispiel jetzt nicht essen darf, und auch in den Stunden, in der Zeit danach.

ECKARD: Kannst Du Dir bitte einmal eine solche Situation plastisch vor­stellen, in der Du alles mit der festen Überzeugung genießt, gesund zu sein und zu bleiben. Schau Dir bitte das Ganze allerdings aus der Position einer Beobachterin an. Geht das?

KLIENTIN: (Pause) Das geht.

ECKARD: Ist die Szene deutlich oder undeutlich?

KLIENTIN: Deutlich.

ECKARD: Bunt oder schwarz-weiß?

KLIENTIN: In natürlichen Farben.

ECKARD: Und wie weit ist die Situation von Dir entfernt?

KLIENTIN: Ungefähr zehn Meter.

ECKARD: Schau Dir die Situation noch einmal aufmerksam an, und dann heb bitte den Blick ein kleines Stück, ein wenig über die Szene und warte neugierig ab, was Dir bewußt wird.

KLIENTIN: (Pause) Ich seh mich da auf einem Fest und bin ganz und gar außer Rand und Band. Ich lache und tanze und esse und trinke und fühl mich sauwohl dabei. Das hab ich schon lange nicht mehr erlebt.

ECKARD: Und wovon bist Du überzeugt?

KLIENTIN: (Pause) Daß alles in Ordnung ist und ich auch. Das Leben ist herrlich und ich bin mittendrin. Ich bin gesund und munter und bleibe es natürlich auch.

ECKARD: Bist Du in der Situation drin oder nimmst Du sie von außen als Beobachterin oder Zuschauerin wahr?

KLIENTIN: Ich seh mich da in der Situation.

ECKARD: Angenommen, die Szene, die Dir gerade bewußt geworden ist und die sich einige Meter von Dir entfernt befindet, ist die eine Seite einer Ba­lance. Wo befindet sich die andere Seite, der andere Pol des Gleichgewichts?

KLIENTIN: (Pause) Hinter mir.

ECKARD: Ist er Dir nahe oder weit entfernt?

KLIENTIN: Dicht hinter mir.

ECKARD: Angenommen, Du kannst da etwas wahrnehmen, was wäre das? (Die Klientin dreht sich um und guckt hinter sich.)

KLIENTIN: (Pause) Es taucht eine Situation mit meinen Eltern auf, die mir verbieten, einen Freund zu besuchen.

ECKARD: Wenn Du sagt, daß die Eltern Dir das verbieten, dann ist uns bei­den klar, daß nicht Du damit gemeint bist, sondern Dein jüngeres Ich, nicht wahr?

KLIENTIN: Ja.

ECKARD: Schau Dir die Situation bitte aufmerksam an, und dann senke bitte Deinen Blick ein wenig unter diese Szene, was fällt Dir dann ein?

KLIENTIN: (Pause) Ich seh mich in meinem Zimmer sitzen (Pause), ich hab Stubenarrest, weil ich beim Spielen über den frisch gesäten Rasen des Nachbarn gelaufen bin.

ECKARD: Kannst Du Dir bitte auch diese Situation noch einmal aufmerk­sam anschauen und dann wieder den Blick senken, und zwar so weit, daß Dein Blick sich auf den Boden richtet. Was kommt Dir dann in den Sinn?

KLIENTIN: Eine unangenehme Idee. Ich bin ganz klein und habe das Gefühl, nicht leben zu dürfen, und ich glaube, ich bin nicht erwünscht. (Die Klientin schüttelt sich.) Das ist schrecklich.

ECKARD: Ja, zum Glück ist es nur eine Idee. Was möchtest Du denn dort statt dessen von Dir glauben?

KLIENTIN: Das ist eine komische Frage. Ich möchte natürlich von mir glau­ben, daß ich erwünscht bin und leben darf.

ECKARD: Und wann besonders?

KLIENTIN: Wenn ich mit anderen zusammen bin.

ECKARD: Kann es auch bei einem Fest sein?

KLIENTIN: (Lacht) Ja, natürlich und dann auch, wenn es mir gesundheit­lich schlecht geht. Dann ist es auch wichtig, daß ich glaube, erwünscht zu sein und leben zu dürfen.

ECKARD: So unangenehm, so schrecklich das Gefühl ist, nicht leben zu dürfen und nicht erwünscht zu sein, was lernt man daraus? Das prägt einen ja.

KLIENTIN: Das Leben wird dadurch unsicher, man wird vorsichtig und zurückhaltend im Umgang mit anderen, auch wenn man das gar nicht will.

ECKARD: Stell Dir vor, jemand wäre von Natur aus leicht aufbrausend und rigide in seinem Verhalten, da wäre dann doch etwas Vorsicht und Zurückhaltung im Umgang mit anderen angebracht, oder?

KLIENTIN: Ja.

ECKARD: Tun wir mal so, als hättest Du das Gefühl, leben zu dürfen, und die Überzeugung, erwünscht zu sein, könntest Du dennoch weiterhin vor­sichtig und zurückhaltend mit anderen umgehen, falls es erforderlich ist?

KLIENTIN: (Pause) Ja.

ECKARD: Wann vor allen Dingen wäre es für Dich absolut notwendig, anderen gegenüber vorsichtig und zurückhaltend zu sein?

KLIENTIN: Wenn jemand sich mir gegenüber unsicher und ängstlich fühlen würde, (Pause) wenn ich jemanden mit meinem Verhalten über­fordern würde und wenn mich jemand kränken und verletzen könnte. (Pause) Und es wäre auch notwendig, wenn ich eine Situation nicht ein­schätzen und überblicken könnte, und natürlich auch, wenn ich nicht erwünscht wäre.

ECKARD: Erinnere Dich jetzt bitte an die Szene, in der Du ganz klein bist und glaubst, nicht erwünscht zu sein und nicht leben zu dürfen. Schau sie Dir aufmerksam an, und dann schieb die Idee bitte zur Seite, damit das, was sich dahinter befindet, hervorkommen kann.

KLIENTIN: (Pause) Es kommt eine sehr unangenehme Szene zum Vorschein, über die ich allerdings nicht sprechen möchte, und dazu ist mir noch eine andere unangenehme Situation eingefallen, über die ich auch nichts sagen möchte.

ECKARD: Kannst Du den beiden bitte Codenamen geben?

KLIENTIN: Die erste Situation nenne ich „Scham“, die zweite „Ohnmacht“.

ECKARD: Bitte schieb jetzt die Idee zur gegenüberliegenden Seite, was kommt dann dahinter hervor?

KLIENTIN: Eine sehr angenehme Erinnerung, da freue ich mich über mich selbst.

ECKARD: Wenn Du Dich auf die Annahme einlassen kannst, daß es für uns wichtig ist, Angenehmes und Unangenehmes zu erleben, und Du fragst Dich: Weshalb? Was antwortest Du darauf, vorausgesetzt, Du möchtest das?

KLIENTIN: (Pause) Das gehört zum Leben dazu, es gibt sonst keine Entwicklung.

ECKARD: Entschuldige, wozu ist es gut, sich zu entwickeln? Und wohin?

KLIENTIN: Ist das eine ernsthafte Frage?

ECKARD: Ja.

KLIENTIN: Sich zu entwickeln, das ist für mich der Sinn des Lebens. Wir müssen aber häufig zu unserem Glück gezwungen werden. Zumindest in unserem Kulturkreis ist es so, daß besonders die unangenehmen Erleb­nisse zu unserer persönlichen Entwicklung beitragen.

ECKARD: (Pause) Vergegenwärtige Dir bitte jetzt die Szene, die Du „Ohn­macht“ genannt hast.

KLIENTIN: Die Szene hat sich positiv geändert. Sie ist heller und deutlicher geworden, sie bedroht mich weniger.

ECKARD: Und was noch? Wo befindet sich die Szene jetzt?

KLIENTIN: Sie befindet sich an einem anderen Platz: Rechts von mir in Augenhöhe.

ECKARD: Schau sie Dir einen Augenblick an, und dann wende Deinen Blick um circa 90 Grad nach rechts und warte einfach neugierig ab, was Dir einfällt.

KLIENTIN: Ich erinnere mich daran, daß ich als Jugendliche eine gute Tischtennisspielerin war.

ECKARD: Und wie geht es Dir dort in der Situation?

KLIENTIN: Sehr gut.

ECKARD: Kannst Du dann bitte die Ressourcen, über die Du in der Tischtennissituation dort verfügst, in angemessener Weise symbolisieren?

KLIENTIN: Ja, es ist ein warmes Gelb.

ECKARD: Bring bitte dieses warme Gelb in angemessener Dosierung in die Situation „Ohnmacht“. Was erlebst Du dann?

KLIENTIN: Die Situation verändert sich positiv.

ECKARD: Zufrieden?

KLIENTIN: Ja.

ECKARD: Und nun plaziere die Situation „Scham“ vor oder hinter die Szene, in der Du Dich über Dich selbst freust. Welche Konstellation gefällt Dir am besten?

KLIENTIN: Ich schiebe die Schamsituation hinter die angenehme Erinnerung.

ECKARD: Und was geschieht?

KLIENTIN: Ich werde ganz ruhig, ich entspanne mich.

ECKARD: Bring jetzt bitte die unangenehme Ausgangssituation, in der Du Dich unerwünscht erlebt hast, vor die Situation, in der Du Dich über Dich freust. Was erlebst Du dann?

KLIENTIN: (Pause) Die Situation hat sich geändert. Ich laufe auf meine Eltern zu, die mir entgegenkommen, und die haben die Arme ausgebreitet.

ECKARD: Bitte schau Dir jetzt die Szene an, die sich direkt über dieser positiven Situation befindet. Da war die Situation „Stubenarrest“.

KLIENTIN: Die ist weg. Statt dessen gehe ich mit meinen Eltern am Strand von Mandero spazieren. An der einen Hand habe ich meine Mutter und an der anderen meinen Vater.

ECKARD: Und darüber befand sich eine Szene, in der Dir Deine Eltern ver­boten, einen Freund zu besuchen.

KLIENTIN: Es befindet sich eine andere Erinnerung an dem Platz. Mein Vater hat mir geholfen, wenn ich Ärger mit meinem Freund hatte. Einmal hat er mir sogar einen Liebesbrief diktiert. Daran erinnere ich mich.

ECKARD: Kannst Du Dir die Situationen noch einmal anschauen, was fällt Dir dann auf?

KLIENTIN: Alle sind ein Stückchen höher gerutscht und deutlich größer geworden.

ECKARD: Was noch?

KLIENTIN: Nichts.

ECKARD: Nimmst Du die Situationen mit beiden Augen wahr?

KLIENTIN: Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. (Pause) Mit dem rechten Auge.

ECKARD: Und was nimmt das linke Auge wahr? Registriert es überhaupt etwas? Überprüfe bitte das gesamte Sehfeld des linken Auges in aller Ruhe.

KLIENTIN: (Pause) Im seitlichen Sehfeld des linken Auges nehme ich eine Situation wahr, und die ist unangenehm. Ich kann sie allerdings nur dif­fus erkennen.

ECKARD: Kannst Du etwas hören?

KLIENTIN: Ja, Stimmen.

ECKARD: Kannst Du die Stimmen eventuell etwas lauter machen?

KLIENTIN: (Pause) Sobald ich die Stimmen laut werden lasse, wird auch die Situation deutlich. Als Kind habe ich meinen älteren Bruder sehr bewundert und wollte immer mit ihm spielen. Er wollte das nicht und hat mich deshalb häufig emotional abgelehnt und zurückgestoßen.

ECKARD: Was hast Du aus diesen unangenehmen Erfahrungen für Lehren gezogen?

KLIENTIN: (Pause) Man sollte nicht zu sehr seinen Gefühlen folgen, auch wenn es schwerfällt. Es ist wichtig, genau zu wissen, worauf man sich einläßt. So versuche ich auch zu leben.

ECKARD: Orientiere Dich bitte noch einmal auf die Situation, die Du mit dem linken Auge wahrgenommen hast. Was kannst Du bemerken?

KLIENTIN: Die Situation ist weiter weggerückt und befindet sich jetzt in der Mitte des linken Sehfeldes.

ECKARD: Kannst Du sie von der Mitte aus an den unteren Rand des Sehfeldes verschieben?

KLIENTIN: (Pause) Ja.

ECKARD: Und?

KLIENTIN: Ich sehe die Situation etwas von oben und hab das Gefühl, als könnte ich die Situation besser kontrollieren.

ECKARD: Jetzt schau Dir die Situation noch einmal an, und dann heb den Blick ein Stückchen darüber hinweg und laß ihn in die Ferne schweifen. Was fällt Dir dann ein?

KLIENTIN: In der Ferne kann ich die Geschwister sehen, und die umarmen sich liebevoll.

ECKARD: Bitte symbolisiere die Ressourcen, die in dieser liebevollen Situation enthalten sind, und laß sie nach und nach in die Situation hineinfließen, in der Du Dich von Deinem Bruder emotional abgelehnt und zurückgestoßen gefühlt hast.

KLIENTIN: Die unangenehme Situation ändert sich. Die beiden sind ganz lieb zueinander.

ECKARD: Wann ist es allerdings auch zukünftig erforderlich, daß Du Dich emotional abgelehnt und zurückgestoßen fühlst?

KLIENTIN: Wenn sich jemand mir gegenüber mißachtend verhält.

ECKARD: Und wann noch?

KLIENTIN: Wenn ich jemanden mißachte und emotional verletzt habe, dann ist es auch wichtig, daß ich mich von meinem eigenen Verhalten emotional abgelehnt und zurückgestoßen fühle.

ECKARD: (Pause) Erinnere Dich doch bitte jetzt einmal an das Fest, auf dem Du Dich außer Rand und Band gesehen hast, auf dem Du Dich sehr wohl gefühlt hast. (Die Klientin nickt.) Und dann schieb bitte die Szene, in der die Geschwister liebevoll miteinander umgehn, dahinter. Was geschieht dann?

KLIENTIN: (Pause) Ich sehe die Situation nicht mehr von außen. Da bin ich mitten drin.

ECKARD: Und wie ist das für Dich, wenn Du Dich emotional darauf einläßt?

KLIENTIN: (Pause) Sehr angenehm. (Die Klientin lacht.)

ECKARD: Und jetzt senke bitte den Blick ein wenig unter diese Szene. Was kannst Du dann wahrnehmen? Da befand sich die Situation „Geburts­tagsfeier bei Freunden“ und die Zeit danach. Erinnerst Du Dich?

KLIENTIN: Auch diese Situation nehme ich nicht mehr von außen wahr. Auch hier bin ich mitten drin.

ECKARD: Und wie ist das für Dich?

KLIENTIN: Sehr gut.

ECKARD: Kannst Du Dir bitte einmal vorstellen, wie es wäre, wenn Du eine Darmgrippe hättest, wenn Du krank wärst?

KLIENTIN: Ja.

ECKARD: Und?

KLIENTIN: Du kannst beruhigt sein, ich werd wieder gesund.

ECKARD: Kannst Du Dich erinnern? Du hattest die Angst, daß alles wie­derkommen könnte, was Du erlebt hast.

KLIENTIN: Das ist vorbei.

ECKARD(zur Gruppe): Die gewählte Vorgehensweise ist natürlich nur eine von mehreren. Eine andere wäre zum Beispiel gewesen, 1. die Situa­tion/en zu bestimmen, in der/in denen die positive Überzeugung er­wünscht wird und 2. deren visuelle, akustische, kinästhetische Reprä­sentation zu erfassen und dann 3. die Technik „Emotionshierarchie III“ (zweites Kapitel) anzuwenden und danach 4. die Technik „Gegenspieler finden 1″ einsetzen. Bisweilen scheint es auch angebracht, beide Vor­gehensweisen in Kombination anzuwenden.

Fragen der Teilnehmer

FRAUKE: Was hättest Du gemacht, wenn sich die Klientin den Grundwert „im Einklang mit sich und der Welt sein“ ebenso vorgestellt hätte wie z.B. den Wert „Lebendigkeit“, der sich für sie aus der Vorstellung einer Eislandschaft erschloß?

ECKARD: Dann hätte ich die Klientin gebeten, sich an eine Situation zu erinnern, in der sie sich im Einklang mit sich und der Welt befindet, oder ich hätte sie gebeten, eine Situation zu kreieren, zu phantasieren, in der es so sein würde. Die Klientin hätte dann die positive Szene auf meine Anregung hin an die Spitze der Werthierarchie plaziert, danach deren Ressourcen angemessen symbolisiert usw. Das weitere Vorgehen ist Dir bekannt.

HELLA: Du sagtest der Klientin, daß sie das, was sich hinter den beiden Farben — Dunkelblau und Gelb — befinden würde, erahnen kann, wie kommst Du darauf?

ECKARD: Wir nehmen nicht nur den Vordergrund eines Geschehens wahr, auch dessen Hintergrund, und wenn nicht immer bewußt, dann jeden­falls unbewußt, davon bin ich überzeugt. Wenn dem nicht so wäre, gäbe es zumindest die therapeutischen Vorgehensweisen nicht, die Du hier kennengelernt hast.

HENRY: Befindet sich der Wert „im Einklang mit sich und der Welt sein“ bei anderen auch an der Spitze der Werthierarchien?

ECKARD: Ja, sehr häufig. Der eine nennt es „im Einklang mit sich und der Welt sein“ und ein anderer „Selbstentfaltung“, ein dritter „Selbstver­wirklichung“, gemeint ist damit in allen Fällen das Bedürfnis nach Selbst­erfüllung, das leben zu können, was der eigenen „Natur“ entspricht. Es ist unser Verlangen, das zu aktualisieren, was wir an Möglichkeiten besit­zen. Ein Dichter muß schreiben, ein Komponist muß komponieren.

AGNES: Du hast die Klientin gefragt, ob sie die erinnerte Szene mit beiden Augen, mit dem linken oder rechten Auge wahrnimmt. Was hat Dich zu dieser Frage bewogen?

ECKARD: Ihr Verhalten! Sie wies mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf ihre Augen, genauer gesagt, auf das rechte Auge. Da es beim Sehen eine Augenpräferenz gibt und wir auf das verweisen, was wir tun, nahm ich an, daß sie die Szene mit dem rechten Auge wahrnimmt. So ein Hinweis wird allerdings nicht immer gegeben. Ob das eine Auge „aktiv“ und das andere „inaktiv“, ob das eine Auge mit der einen Angelegenheit und das andere mit einer anderen befaßt ist, das läßt sich erkennen: Die Augen unterscheiden sich dann hinsichtlich ihrer Größe. Das eine Auge erscheint eher zusammengekniffen, das andere eher weiter geöffnet, die Pupillen erscheinen unterschiedlich geweitet. Es geschieht auch, daß eine unangenehme Szene nur mit einem, z.B. dem rechten Auge, erinnert wird und das linke nichts wahrnimmt. Der ‚Wahrnehmungsraum“ des linken Auges ist leer. In einem solchen Fall sorgt dafür, daß Euer Klient sich an eine Szene erinnert, die die Ressourcen enthält, die in der anderen fehlen. Plaziert die positive Szene dann in den ,Wahrnehmungsraum“ des linken Auges. Danach bittet Euer Gegenüber, die Ressourceszene vor oder hinter die unangenehme zu bringen und die positive Veränderung zu beachten.

GERD: Bist Du sicher, daß Dir bei der Aufdeckung verborgener Glaubens­sätze oder Überzeugungen Fehlschläge oder Sackgassen erspart bleiben?

ECKARD: Natürlich nicht. Die psychischen Mechanismen, die vor dem Bewußtwerden belastender Erfahrungen schützen (siehe auch 5.2.3), können auch bei meinem Vorgehen aktiviert werden. Es geschieht meiner Erfahrung nach allerdings nicht häufig, und wenn es geschieht, dann ändere ich meine Vorgehensweise (siehe auch 5.2.3).

SVEN: Wann setzt Du die Veränderungstechnik ein, bei der Du die Klientin bittest, sich 1. die negative Erfahrung zu vergegenwärtigen, 2. den Kopf 90 Grad nach rechts zu drehen und 3. dann neugierig abzuwar ten, was ihr in den Sinn kommt und sie, falls die bewußt gewordene Szene Ressourcen enthält, aufforderst, die darin enthaltenen Ressourcen angemessen zu symbolisieren und in die problematische Ausgangs­situation einfließen zu lassen? Und außerdem möchte ich gern wissen, decken Klienten bei dieser Methode immer Ressourceszenen auf?

ECKARD: Zur zweiten Frage: Die Klienten decken nicht nur Ressource­szenen auf. Wenn es eine unangenehme Vorstellung oder Erfahrung ist, die bewußt wird, dann bitte ich den Klienten, sich die aufgedeckte nega­tive Szene nur kurz anzuschauen und dann in genau die entgegengesetz­te Richtung zu sehen und aufmerksam abzuwarten, was ihm bewußt wird. Normalerweise enthält die dann dort auftauchende Szene Ressour cen, die er nutzen kann. Dann bitte ich ihn, diese zu symbolisieren und
in die gegenüberliegende, negative Szene einfließen zu lassen. Die positi­ve Änderung dieser Szene führt normalerweise dann dazu, daß sich auch die problematische Ausgangssituation ändert. Falls das unterbleibt, sind die vorhandenen Ressourcen in die negative Ausgangssituation einzubrin­gen. Zur ersten Frage: Diese Technik verwende ich häufig dann, wenn der Klient seine Erinnerungen oder Vorstellungen im Sehraum nicht direkt vor sich, sondern ziemlich weit rechts oder links von sich in Augenhöhe wahrnehmen kann.

Schlußwort

Sie haben gesehen, welcher Stellenwert den Emotionen in unserem Leben zukommt, wie sehr sie unser Wahrnehmen, Denken und Handeln bestimmen und das, was uns geschieht. Es wurde dargelegt, daß Emo­tionen nicht in reiner Form, sondern in Form von Ereignissen existieren. Die Annahme, daß Emotionen sich in Ereignissen realisieren und diese mental anscheinend in der Reihenfolge ihres zeitlichen Geschehens hin­tereinander repräsentiert werden, führte zur Entwicklung einer therapeu­tischen Technik, die gut geeignet ist, ein Problem in seiner Entwick­lungsgeschichte zu erfassen und es darüber vermittels unterschiedlicher Methoden zu ändern.

Weiter konnte anhand der Entwicklungen von Sprachfähigkeit und Wortbedeutung gezeigt werden, daß Sprache unsere Realität abbildet und somit Worte, die sich auf Emotionen beziehen, diese auch erfassen. Es konnte deutlich gemacht werden, daß Emotionen Hierarchien bilden, die mental in Hierarchien räumlicher Bilder existieren. Die Emotionen, die die Hierarchie der unangenehmen Gefühle anführen, befinden sich im Sehraum zu unseren Füßen. Die Emotionen, die die Hierarchie der ange­nehmen Gefühle anführen, befinden sich im Sehraum über uns. Die dar­gestellten therapeutischen Vorgehensweisen nutzen diesen Sachverhalt.

Im dritten Kapitel wurden die Emotionen dargestellt, die wir häufig erleben und denen lebensgeschichtlich die größte Bedeutung zukommt. Es wurde deutlich gemacht, daß diese Emotionen sich in ihrer Aus­prägung wechselseitig kontrollieren, daß sie sich in Balanceverhältnissen miteinander befinden. So balancieren sich beispielsweise Angst und Wut, Freude und Leid gegenseitig. Es konnte gezeigt werden, daß die balan­cierte Interaktion der Emotionen therapeutisch zu nutzen ist.

Nachfolgend wurde dargestellt, daß Rollen aus einem Komplex von Verhaltensregeln bestehen und Rollenverhalten bestimmten Regeln folgt, die größtenteils unbewußt sind und denen wir selbstverständlich folgen. Dabei ist es eine irrige Annahme, daß es für die „Rollenspieler“ wesentli­che Handlungsspielräume gibt.

Verhaltenserwartungen und -annahmen der am „Rollenspiel“ Beteilig­ten beruhen auf der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme. Es wurde gezeigt, daß sich die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme nicht erst im Erwachsenenalter, sondern vor allem in der Jugend und Kindheit ent­wickelt und wir aufgrund dessen anscheinend zeitweilig Sachverhalte aus einem Blickwinkel wahrnehmen, der unangemessen ist. Die dargestellte therapeutische Methode ermöglicht es, die unangemessene „Sicht der Dinge“ zu korrigieren.

Abschließend wurde auf die Bedeutung von Werten und Überzeu­gungen eingegangen und darauf hingewiesen, daß sie als zentrale Bestandteile der Persönlichkeit unser Leben bestimmen. Es wurde an den Werten „Sicherheit“ und „Liebe“ beispielhaft gezeigt, wie wichtig die Erfüllung der Grundwerte für uns ist. Ihre Frustration kann zu psychi­scher Destabilisierung und Erkrankung, ihre Erfüllung zu Gesundheit und Zufriedenheit führen. Auf die positive Wirkung von Überzeugungen wurde ebenso hingewiesen wie auf die Behinderung, die erlebt wird, wenn man einschränkenden Glaubenssätzen unterworfen ist. Darüber hinaus wurde dargestellt, woran einschränkende Glaubenssätze zu erken­nen sind, auf welche Weise sie bewußt gemacht und geändert werden können.

Die dargestellten Vorgehensweisen lassen sich meines Erachtens größtenteils mit den therapeutischen Interventionen unterschiedlicher Therapierichtungen vereinbaren, weil die problematischen Erfahrungen, Erinnerungen und Vorstellungen des Klienten direkt mit den Ressourcen verbunden werden, die ihm strukturell verfügbar sind: Verwendete Ressourcen werden normalerweise weder bewußt erinnert noch bewußt konstruiert. Sie erschließen sich 1. dadurch, daß das problematische

Geschehen direkt mit den übergeordneten Bereichen der Persönlichkeit verknüpft wird, die eine angemessene Problemlösung realisieren können (2. Kapitel), 2. dadurch, daß die das problematische Geschehen balan­cierenden Emotionen auf das negative Geschehen als Ressourcen bezo­gen werden (3. Kapitel) und 3. dadurch, daß ein problematisches Ge­schehen der konstruktiven Bearbeitung durch unbewußte Prozesse zuge­führt wird. Dies geschieht dann, wenn sich das mit einer bestimmten Perspektive assoziierte Geschehen im Widerspruch zur eigenen Ziel­setzung befindet (4. Kapitel).

Die Erfahrungen des Autors haben gezeigt, daß sich die Techniken gut miteinander kombinieren lassen und sich dadurch ihr Wirkungsgrad erhöht. Zugleich läßt sich feststellen, daß nicht jeder in gleichem Maße in der Lage ist, die Interventionen für sich zu nutzen. Hierbei spielen Einstellungen und Überzeugungen des Klienten ebenso eine Rolle wie Übung und Gewohnheit und nicht zuletzt sowohl der Rapport zwischen Klient und Therapeut als auch Visualisierungsfähigkeit. Diese Fähigkeit kann beispielsweise bei denen eingeschränkt sein, die bei der Wahr­nehmung ihrer Umwelt das kinästhetische Repräsentationssystem bevor­zugen.

Da die hier vorgestellten, in dieser Form neuartigen therapeutischen Techniken sich noch immer in der Erprobungsphase befinden, können Wirkungsbereich und Wirkungsgrenzen der dargestellten Interventionen zur Zeit nicht exakt angegeben werden. Das bleibt denen, die diese Techniken nutzen, wie auch der zukünftigen Arbeit des Autors vorbehal­ten. Dessen entschiedenes Ziel ist es allerdings, jene Strukturen weiter zu untersuchen und aufzudecken, deren Vorhandensein die Entwicklung der vorgestellten therapeutischen Interventionen erst möglich gemacht hat.